Gespräche mit den Seeleuten

Arbeiten vor unserem Fenster
Arbeiten vor unserem Fenster

Beim Essen und während unserer täglichen Besuche auf der Kommandobrücke gibt es immer wieder Gelegenheit, mit Crew-Mitgliedern ins Gespräch zu kommen, hauptsächlich mit den höhergestellten, die gewöhnlichen Seamen (Matrosen) sehen wir nur selten, da sie eine eigene Mess (Kantine) haben und meist irgendwo im Bauch des Schiffes oder auf Deck arbeiten. Was genau, in diesem Beitrag …

Hier ein paar Themen und Gesprächsinhalte:

  • Die Seeleute scheinen es zu geniessen, dass sich jemand für sie interessiert. So erzählen sie gern von ihrer Arbeit, ihrem Heimatland, ihrer Familie … Wir führten auch schon einige interessante Diskussionen über Themen wie EU, Flüchtlinge, Unterschiede zwischen West- und Ost-Europa etc.
  • Sie erklären uns aus eigener Initiative geduldig und ausführlich, was all die Instrumente, Bildschirme, Anzeigen etc. auf der Brücke bedeuten. Auch alle Fragen, die sich für uns daraus ergeben, beantworten sie freudig – sofern sie grad Zeit haben, was tagsüber auf der Brücke oft der Fall ist.
  • Sie betonen auch immer wieder, dass ihr Job kein Traumjob ist. Es ist oft wenig los auf dem Meer und man muss doch voll präsent sein. Es ist schwer, immer wieder für 4 Monate oder länger von Familie und Freunden getrennt zu sein, dann 2 oder 3 Monate zuhause, nur um erneut wegzugehen. Trotzdem sind diese Jobs begehrt und man muss froh sein, wenn man nach Vertragsablauf wieder ein neues Angebot bekommt.* Nicht automatisch kann man damit rechnen, aufsteigen zu können in der Rangordnung oder gemäss seiner Ausbildung eingesetzt zu werden.
  • Einer der Officers hat gesagt, er werde alles daran setzen, dass sein Sohn keine Laufbahn als Seemann einschlägt. Er wolle ihm das ersparen. Gern würde er etwas anderes arbeiten, das im erlaubt, mehr bei der Familie zu sein, aber das sei nicht so einfach.
  • Ein Inder hat uns von seinem ersten Mal auf See erzählt: Da er sich das europäische Essen nicht gewohnt war (jeden Tag 3 Mal Fleisch inkl. Wurst oder Speck zum Zmorge), ass er nur Reis mit Ketchup. Nach ein paar Wochen klappte er zusammen und der Kapitän sagte zu ihm: Entweder du isst richtig oder du gehst nach Hause. So begann er, Eier zu essen und Gemüse und gewöhnte sich langsam ein wenig an die «europäische» Kost, die auf den Containerschiffen offenbar Standard ist. Heute noch lässt er jedoch meistens das Fleisch weg; sein Magen kann so viel Fleisch nicht verdauen. In Indien isst er nur Gemüse, Chapati, Reis … Die Matrosen sind fast alle Filipinos, sie bekommen anderes Essen, Reis und getrockneten Fisch. Ob das nur hier so ist (unser Koch ist auch ein Filipino), oder zum Standard gehört, entzieht sich unserer Kenntnis.
  • Immer wieder werden wir gefragt, warum wir ein Containerschiff als Transportmittel für unsere Atlantiküberquerung wählen. Und warum wir unsere Ferien nicht anders geniessen. Unsere Erklärungen von wegen langsam reisen, zur Ruhe kommen, Zeit haben, einen Traum verwirklichen usw. überzeugen sie nur halb. Je mehr wir hören, wie sie sich an Bord fühlen, desto mehr begreifen wir, dass es für sie sehr seltsam sein muss, dass wir da freiwillig mitreisen – und erst noch dafür bezahlen …

*Es ist gewöhnlich so, dass die Officers einen Vertrag für 4 Monate haben. Wenn dieser ausläuft, gehen sie für ca. 2 Monate nach Hause und müssen einen neuen Vertrag abschliessen für die nächste Periode auf See. Sie haben nie automatisch wieder eine Anstellung. Die Matrosen kommen fast ausschliesslich von den Philippinen, sie haben gewöhnlich 9-Monats-Verträge.

Was ich übrigens noch genial finde hier auf dem Schiff: In sechs Nächten wird die Uhr jeweils um 1 Stunde zurückgestellt. So haben wir uns bis zur Ankunft in Chester – ohne es gross zu merken – bereits an die Ortszeit gewöhnt! Für mich ist das wie Weihnachten, Ostern, Ferien und Geburtstag zusammen: Das Jahres-Highlight, das sonst nur am letzten Oktober-Wochenende stattfindet, gleich sechs Mal innert 2 Wochen zu erleben:-)

Zeitumstellungsplan
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Die letzten beiden Beiträge sind per Satellitenverbindung übermittelt worden – wir sind also noch nicht so richtig online …